Ollü |
Verfasst am: 31.05.2004, 13:08
Hardrock ist was für Spießer (http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/581/32549/)
Plärrway to Heaven
Nur noch eine Kleinbürger-Idylle: Hardrock und Heavy Metal schaffen letzte Heimatbastionen. Schön gefühligkuschelig in den Partykellern von alternden Gartenzwergen.
DIRK PEITZ
Willkommen im Wolkenkuckkucksheim, dem letzten Refugium eines kleinbürgerlichen Idylls. Und... ähem... könntet ihr nicht die Musik etwas lauter... weil, wir hören nicht mehr so gut... dankebittegaaaanzlieb.
Sie lassen es noch mal richtig krachen, die Jungs. Hart, kompromisslos, ohrenbetäubend, unbeirrt von Zeitgeist und modischen Strömungen, aber natürlich im zeitgemäßen Sound-Gewand, getreu dem Motto back to the roots stets das Unerwartete suchend.
Denn sie haben noch künstlerische Koordinaten, diese Jungs: kompositorische Genialität, unbändigen Erfolgswillen, ungebrochenen Pioniergeist, bedingungslosen Einsatz. Und alles ist selbstverständlich handgemacht: Instrumente umhängen, anschließen, spielen. Immer am Limit. Laut. Ganz laut.
» Ein kleinbürgerliches Idyll eben. Ein lauter Heimatersatz. «
So paradox redet er, der harte Rock, seit mehr als dreißig Jahren, in der ihm eigenen Semantik des Zupackenden, Unverstellten, Archaischen.
Einer Semantik, die das Neue immerzu nur behauptet, um das Alte zu verteidigen. Das vor allem ist in der Gestalt uralter Bands gerade so präsent wie nie: Gerade sind das neue Album der Scorpions und eine luxuriöse CD-Box von Judas Priest erschienen, gefolgt von einem Solowerk des Kiss-Sängers Gene Simmons, im Juni veröffentlichen Motörhead ein buchstäbliches „Inferno“, und von Iron Maiden gibt es wenigstens eine neue DVD-Version ihres letztjährigen Albums „Dance Of Death“.
Das sind wesentliche Künstler der Generation, die den Genre-Begründern Led Zeppelin und Black Sabbath Mitte der siebziger Jahre nachfolgten – Led Zeppelin als den Erfindern des Hardrock, der dem Harmonieverständnis und den Erlösungsfantasien des Blues noch verpflichtet war, Black Sabbath als Protagonisten des Heavy Metal, welcher der herkömmlichen Tonalität abschwor und in jeder Form nihilistisch war.
» Erstaunlich ist nur, wie stabil dieser Wertekanon über die Zeit geblieben ist. «
Dass die kreativsten Zeiten auch der Nachfolgegeneration seit bald zwanzig Jahren vorbei sind, stört den harten Rock nicht.
Im Gegenteil: Er ist von den großen popkulturellen Strömungen die einzige, deren Ahnenkult eine Kategorie des anhaltenden historischen Verdienstes kennt. Anders als im HipHop, R’n’B oder Techno gibt es im harten Rock kein endgültiges Vorbei in der Gegenwart für diejenigen, die aus der Zeit gefallen sind. Sondern allenfalls eine prinzipielle Ablehnung, wie sie etwa die Scorpions trifft.
Diese Verachtung ist jedoch nur zum Teil musikalisch begründet und viel eher Ausdruck der Befindlichkeit eines sich nicht bestätigt, sondern ertappt fühlenden popkulturellen Soziotops: Sänger und Kanzler-Tennispartner Klaus Meine diskreditiert als öffentliche Figur das kleinbürgerliche Milieu, aus dem der harte Rock seinen Wertekanon ästhetisch wie ideengeschichtlich bezieht – bei Meine ist die so fragile Balance aus Aufstiegsfantasien und Außenseiterstolz ins Ungleichgewicht geraten.
Solche Abweichungen gestatten die binnensoziologischen Kontrollinstanzen des harten Rock nicht. Diese schützen ihn vor den Neuerungen der Gegenwart, vor Race- und Gender-Debatten, vor der bedrohlichen Digitalisierung – und machen aus ihm das Refugium eines kleinbürgerlichen Idylls.
Im Zentrum dessen Wertesystems steht – neben Sekundärtugenden wie Einsatzwille, Ehrlichkeit, Standhaftigkeit, Robustheit – die von Manneskraft erbrachte Leistung, also ein industriegesellschaftliches Ideal.
Die Beherrschung des Arbeitsgeräts, verstanden als technische Virtuosität, spielt in keinem anderen Musikgenre eine vergleichbare Rolle.
Nur in kurzen historischen Phasen, etwa in der Punk-Zeit, tauchte die großbürgerliche Idee des genialen Dilettantismus im harten Rock auf, verschwand aber mit dem nächsten Professionalisierungsschub wieder.
Dieses Virtuositätsmodell teilt sich musikalisch auf in einen mechanischen und metaphysischen Teil: Während die Rhythmusgruppe schnell und präzise ihre Arbeit verrichtet, verbindet der Sologitarrist diese mit dem prekären Moment der metaphysischen Überhöhung.
Doch die schiere ekstatische Inspiration, die göttliche Eingebung, wie sie die schwarze Musiktradition kennt, bleibt dem harten Rock wesensfremd: Er glaubt an die Perfektionierung des Handwerks, mit der er seine gewaltig schönen Lärmgebilde errichtet.
Erstaunlich ist nur auf den ersten Blick, wie stabil dieser Wertekanon trotz all der Subgenre-Bildungen gerade im Metal – im Thrash, Speed, Death, Black, Grind – über die Zeit geblieben ist. Das liegt daran, dass dieser vorgebliche Prozess der stetigen Erneuerung tatsächlich der geheimbündlerischen Traditionsbewahrung eines idealen Urzustands dient.
Die Verästelung schafft eine erwünschte Unübersichtlichkeit, entzieht das jeweils Neueste dem Blick der Nichteingeweihten. Das Neue selbst aber wurde vom harten Rock nie als originäre Qualität begriffen.
Stattdessen nutzte er die ästhetische Radikalisierung als Selbstschutz: Die immer nächste krasse Zuspitzung bewahrt den mythischen Kern seines Wertesystems vor den Verratstendenzen des stets als böses Außen begriffenen Kommerzes. Ganz so wie Schrebergartenkolonien und deren moderne Entsprechung – die gated communities – ihr Idyll durch gemeinschaftliche Territoriumsbildung vor Eindringlingen umzäunen. Der so gehütete ideelle Gral des harten Rock handelt von der Entfremdung des modernen Menschen.
Je grauslicher die besungen, beschrien und begrunzt wird, umso exklusiver bleibt der Zugriff auf deren Beschreibung. Und ewig aktuell, denn der Mensch entfremdet sich in der Ideologie des harten Rock immer noch mehr.
Man kann daher weite Teile des Mystikvorrats, den die Spielarten des Heavy Metal dem harten Rock hinzugefügt haben – das Satanische, die neuheidnische Odin-Verehrung, die Selbstverstümmelfantastik, die SM-Ästhetik – als bloße folkloristische Abschreckungsmaßnahmen, als eher laue Tabuzonenbesetzung verstehen.
Wenn sie nicht, wie im norwegischen Black Metal, als neonazistischer Kult enden, dessen Mitglieder tatsächlich zu morden begannen. Nur hier hat sich das gängige Vorurteil in die strafrechtlich relevante Wirklichkeit verlängert: dass der harte Rock als Katalysator adoleszenter Verirrung dient.
Diese (männlich-)pubertären sozialen Ausgeschlossenheitsgefühle aber adressiert heute der HipHop inhaltlich wesentlich besser – die Trabantenvorstädte wie die Provinzjugendzentren hat er längst übernommen.
Was dem HipHop jedoch fehlt, ist die Wucht der Aggressionsabfuhr im harten Rock und ein geschlossener Wertekanon jenseits der für den HipHop konstitutiven Konsumverherrlichung.
Der anhaltende Erfolg des harten Rock, wie alt oder auf neu gemacht er auch immer ausschauen mag, rührt also nicht nur daher, dass eine beeindruckend große erwachsene Hörerschaft nicht aus der Adoleszenz herausfindet. Er ist vor allem eines der letzten sinn- und gemeinschaftsstiftenden Systeme, das trotz seiner inneren Widersprüche als Unität den immer unüberschaubarer empfundenen Zeitläuften trotzt – und sich über diese Widerständigkeit definiert.
Ein kleinbürgerliches Idyll eben. Ein lauter Heimatersatz. |